Kreativität ist in aller Munde. Sie ziert Unternehmensleitbilder, besetzt die Spitzenplätze in Anforderungsprofilen und ist längst zum heiligen Gral wirtschaftlicher Innovation erhoben worden. Wer heute kein Creative Mindset vorweisen kann, gilt als nicht zukunftsfähig. Doch bei allem Applaus für das Neue, Originelle, Andersartige – was ist aus der Kreativität wirklich geworden? Eine Ressource? Ein Tool? Eine Methode? Eine Massenware?
Die Ökonomisierung des Geistesblitzes
Seit Jahren erleben wir einen beispiellosen Hype um Kreativität. Ganze Industrien sind entstanden, um schöpferisches Denken zu normieren, zu planen und in Prozesse zu pressen. Kreativität soll zuverlässig, wiederholbar und vor allem kontrollierbar sein. Design Thinking, Brainstorming, Mindmaps – allesamt gut gemeinte Techniken, die vor allem eines gemeinsam haben: Sie unterstellen, dass sich der kreative Funke durch methodisches Vorgehen zünden lässt. Doch genau hier liegt das Problem. Kreativität ist kein planbarer Produktionsfaktor. Sie ist nicht linear, nicht messbar, nicht auf Knopfdruck verfügbar. Wer glaubt, durch bunte Möbel und hippe Workshops echte Innovation zu erzeugen, verwechselt Atmosphäre mit Substanz. Der kreative Akt lässt sich nicht durch externe Bedingungen erzwingen. Er entsteht aus innerem Antrieb – aus Neugier, Widerspruchsgeist, Intuition. Nicht aus einem Toolset.
Die Sehnsucht nach Echtheit
Wenn jeder Workshop Ideen ausspuckt, aber keiner wirklich neu denkt, verkommt Kreativität zur Selbstbeschäftigung. Was Unternehmen heute brauchen, ist kein weiterer Kreativworkshop, sondern eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Frage: Wofür brauchen wir Kreativität wirklich – und wo vielleicht auch nicht? Nicht jede Aufgabe verlangt nach kreativer Brillanz. Und nicht jede Idee wird besser, nur weil sie «outside the box» gedacht wurde. Echte Kreativität braucht Raum. Zeit. Mut zum Zweifel. Und manchmal auch Langeweile. Sie entsteht dort, wo Menschen sich nicht beobachtet fühlen, wo sie Fehler machen dürfen, wo sie nicht sofort Ergebnisse liefern müssen. Sie lässt sich nicht in KPIs fassen. Und schon gar nicht in einen Quartalsplan.
Ein Plädoyer für Unverfügbarkeit
Wir sollten Kreativität wieder das zurückgeben, was sie ausmacht: ihre Unverfügbarkeit. Ihre Störungskraft. Ihren Eigensinn. Kreative Menschen sind keine Dienstleister für neue Ideen. Sie sind Suchende, Störende, Brückenbauer zwischen Welten. Sie denken quer, fühlen sich ein, widersprechen, spielen – und genau deshalb sind sie wertvoll. Wer Kreativität wirklich fördern will, muss aufhören, sie managen zu wollen. Stattdessen gilt es, Freiräume zu schaffen – und Vertrauen. In Menschen, in Prozesse, in das Unerwartete. Denn Kreativität lebt nicht von Kontrolle, sondern vom offenen Ausgang.
Fazit:
Kreativität ist kein Werkzeugkasten. Kein Pflichtprogramm. Keine Produktivitätsmassnahme. Sie ist ein kulturelles Kapital – und ein zutiefst menschlicher Akt. Lasst uns aufhören, sie zu instrumentalisieren. Fangen wir an, sie wieder zu respektieren. Als das, was sie ist: frei, wild, sperrig – und manchmal verdammt unbequem.